Helmern als Frauenort in NRW ausgewählt:
Äbtissin Benedicta von Spiegel durch die Landesregierung geehrt
An ihre bis vor kurzem noch weitgehend unbekannte Bedeutung als Widerständlerin gegen die NS-Diktatur wird jetzt in ihrem Geburtsort Helmern als Frauenort NRW bleibend erinnert.
Unter der Schirmpatenschaft von NRW-Familienministerin Josefine Paul wählt das landesweite Projekt „Frauenorte“ insgesamt 50 Orte aus den eingereichten Bewerbungen aus, an denen historische Frauenpersönlichkeiten und ihr Lebenswerk geehrt werden. Der NRW-Frauenrat als Träger des Projekts hat in der letzten Auswahlrunde der Bewerbung des gemeinnützigen Vereins „Helmern – Dorf mit Kunst und Kultur“ den Zuschlag gegeben. Der Verein freut sich, dass die in Helmern geborene Äbtissin Benedicta von Spiegel (1874-1950) in das Projekt aufgenommen und damit im Jahr ihres 150. Geburtstages in besonderer Weise geehrt wird.
Die in Helmern / Willebadessen geborene Benedicta von Spiegel war eine ungewöhnliche Ordensfrau: weltläufig, politisch und im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Seit 1926 Äbtissin der Benediktinerinnenabtei St. Walburg im oberbayerischen Eichstätt – engagierte sie sich als entschiedene Gegnerin der Nazis bis zur Kapitulation 1945 im katholisch widerständigen Milieu. Nicht als Einzelkämpferin, sondern im Verbund mit Freunden, darunter der prominente Münchner Journalist Fritz Gerlich: Die Wochenzeitung „Der Gerade Weg“ ist das heute bekannteste antinationalsozialistische Projekt des sog. Eichstätter Freundeskreises geworden. Als wirkmächtige Zeitung griff der „Gerade Weg“ nicht nur Hitler und andere führende NS-Funktionäre an, sondern auch die gesellschaftlichen Unterstützerkreise in Adel, Großbürgertum und Wirtschaft.
Der Preis, den die Freunde für diesen Einsatz zahlen mussten, war nach der sog. Machtergreifung hoch: Lange Haft, Folter und Ermordung Gerlichs 1934, Hausdurchsuchungen, Observierungen, Briefzensur, tiefe Verunsicherung und Ängste. Die verbliebenen Freunde gingen ab Herbst 1934 zu subversiven Widerstandsformen über, verfassten und verbreiteten Flugblätter und schmuggelten Informationsmaterial in die Schweiz.
Äbtissin v. Spiegel zog aus dem existentiellen Gefährdungspotential, das von den Nazis ausging, eine weitreichende Konsequenz, die sie zu einem Solitär unter den deutschen Klosterführungen machte: Sie gründete 1934 in Boulder/Colorada ein Kloster als Zufluchtsort ihres mehr als 150 Nonnen zählenden Konvents,^ welches bis heute existiert.
Benedicta v. Spiegel unterstützte Häftlinge im KZ Dachau und versteckte politisch Verfolgte in der Abtei.
Zum Kriegsende setzte sie sich unter Lebensgefahr in heimlichen Verhandlungen mit den Alliierten für die kampflose Übergabe Eichstätts ein. Die Stadt zeichnete sie dafür als Ehrenbürgerin aus. Seit den 1990er Jahren ist in Eichstätt eine Straße nach ihr benannt.
Der Verein „Helmern – Dorf mit Kunst und Kultur“ würdigt nun eine historische Frauenpersönlichkeit, die mit beherztem Mut und Zivilcourage beharrlich gegen das nationalsozialistische Terrorregime kämpfte und mit großer Empathie vielen Menschen in ihren Sorgen, darunter politisch Verfolgten half. Rassismus und Antisemitismus hielt Benedicta von Spiegel die aus dem christlichen Naturrecht begründete Unantastbarkeit der Menschenwürde entgegen. Sie kann daher auch für heutige Generationen ein Vorbild sein.
Die feierliche Eröffnung des neuen Frauenortes hat am 25. August 2024 stattgefunden. Nach einem Festhochamt mit Pfarrer Bernd Götze in der St. Kilian Kirche Helmern fanden verschiedene Festvorträge und Ansprachen in der St. Kilian Halle Helmern statt. Im Rahmen eines Dorfrundgangs wurde anschließend auf dem Vorplatz der Kirche eine Gedenkstele für Benedicta von Spiegel enthüllt.
Folgende Videos sind abrufbar:
Grußworte von Prof. Petia Genkova (stv. Vorsitzende des Frauenrates NRW): https://www.youtube.com/watch?v=S0Z-unyziJI
Begrüßung und Einführungsworte zum Festvortrag von Dr. Gerlinde Gräfin von Westphalen: https://www.youtube.com/watch?v=pKViUoqqrRc
Foto: Äbtissin Benedicta von Spiegel vor ihrem Geburtshaus, dem Rittergut Helmern 1930.